Sag, ERP-System, wann kommt die Lieferung?
KI im ERP-Umfeld - oder: Wenn KI und ERP ein gemeinsames Kind bekommen. Die Fortschritte von KI in Form neuronaler Netzwerke haben alle Experten überrascht. Wird sich das auch auf ERP-Systeme auswirken? Eine berechtigte Frage, die jedoch viel zu kurz greift. ERP Systeme sollen dafür sorgen, dass die richtigen Fachkräfte, Werkzeuge und Materialien sowie die nötige Energie und Geld zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, um Güter zu produzieren. ERP-Systeme sind also in Software gegossene Industrieprozesse. Im Wesentlichen handelt es sich um die Verwandlung langer Stücklisten in rigide relationale Datenbanken mit unerträglichen Benutzeroberflächen. Wozu soll das in Zeiten der KI noch gut sein?
Änderungszyklen von Produktionsvorgängen und anderen Unternehmensprozessen werden immer kürzer. Übliche ERP-Software ist allerdings nicht gerade für ihre Anpassungsfähigkeit oder Benutzerfreundlichkeit bekannt. Unstrukturierte Daten sind im Allgemeinen unverdaulich, was zu mühsamer Datenerfassung führt. Fehler bleiben oft unentdeckt und Kundenwünsche auf der Strecke. Aber genau diese Schwächen klassischer ERP-Systeme sind die Stärken analytischer und generativer KI.
Die naheliegenden Quick-Wins intelligenter ERP
Datenerfassung: Mit den richtigen Prompts können Generative KI aus Katalogen, Beschreibungen und anderen Fließtexten mit steigender Zuverlässigkeit komplexe Datenstrukturen extrahieren und direkt in ERP-Systemen erfassen.
Benutzerfreundlichkeit: Mittlerweile können Programmierer mit KI-getriebenen Codegeneratoren ein Vielfaches an Software codieren. Bald werden solche Generatoren individuelle Eingabemasken und andere Benutzeroberflächen on-the-fly generieren, die auf den einzelnen User und seinen Anwendungsfall maßgeschneidert sind. Vorbei ist die Diktatur der standardisierten Eingabemasken, die für jeden Anwendungsfall ein wenig geeignet sind, aber für keinen richtig.
Flexibilität: Unternehmensprozesse werden heute mehr oder weniger manuell in Software codiert und konfiguriert. KI wird nicht nur eigenständige Optimierungen vorschlagen, sondern komplett neue Prozesse auf Zuruf implementieren können.
Individualisierung: Der alte Henry Ford hat seine Autos in allen Farben angeboten, solange es schwarz war. Gestiegene Ansprüche individualistischer Kundenwünsche erzeugen eine immer stärkere Nachfrage an personalisierten Produkten. Vor den ERP-Zeiten wäre eine solchermaßen steigende Komplexität im Informationsmanagement nicht zu bewältigen gewesen. Heute erfordert dies schlimmstenfalls eine neue Tabelle im System oder Vergleichbares.
Anomalieerkennung: Moderne KI ist besonders gut bei der Entdeckung subtiler Abweichungen in umfangreichen Datenströmen. Auf diese Weise werden komplexe Fehler frühzeitig entdeckt. Das gilt insbesondere für automatische Datenerfassung und Software, die durch Generative KI erst möglich werden. Selbst Missbrauch, Betrug und Verschwendung sind durch analytische KI einfacher zu identifizieren.
ERP-Systeme sind zu Software gewordene Transaktionskosten
Als Adam Smith die Economies-of-Scale auf den Märkten des 18. Jahrhunderts entdeckte, gab es noch keine Großunternehmen. Economies-of-scale sind zwar enorm wirksam, aber wenig intuitiv. So wurden sie eines der am meisten überschätzten Konzepte der Betriebswirtschaft.
Großunternehmen entstanden erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts, weil damals eine Beschränkung der Haftung möglich wurde, es aber noch keine KI gab. Da Unternehmen und andere Organisationen klüger sind als jeder einzelne Mitarbeiter, bezeichnet man sie zu Recht als eine frühe Form von Superintelligenz. Diese Entkopplung von Entscheidungsfindung und Ethik ermöglichte die Blütezeit ihres Erfolges im 20 Jahrhundert.
Erst 1930 hat der Nobel-Gedächtnispreisträger Ronald Coase herausgefunden, dass Größenvorteile auf Transaktionskosten zurückzuführen sind. Die Einführung von ERP-Systemen repräsentiert die Digitalisierung der Transaktionskosten, was sie enorm gesenkt hat. Je niedriger die Transaktionskosten, umso geringer die Größenvorteile. Sonst hätte die Umstrukturierung der ganzen Automobilindustrie wohl kaum funktioniert.
Smarte ERP-Systeme stellen die Wirtschaft auf den Kopf
Oft wird vergessen, wie revolutionär ERP-Systeme bei ihrer Einführung waren. Die Automobilindustrie führt uns den Umbruch seit Jahrzehnten vor. Durch die Einführung der ersten ERP-Systeme haben sich vormals riesige Autobauer verwandelt. Die einst monolithische Wirtschaftsstruktur ist in viele kleinere Zulieferbetriebe zerfallen. Das passt nicht zur naiven Betrachtung von Größenvorteilen.
Den Grund dafür kennt jeder, der schon einmal vergeblich versucht hat, in einem Schwester-Department zu günstigen Marktpreisen einzukaufen. Innerhalb von Unternehmen dominiert die eitle Vollkostenrechnung. Aber günstige Marktpreise heißen eben deshalb so, weil sie nur im Wettbewerbsumfeld des Marktes möglich sind.
Märkte und später auch Unternehmen sind schlichtweg zwei gegensätzliche Methoden, um menschliche Arbeit zu organisieren. Der Wettbewerb auf Märkten verursacht zwar einen Preisvorteil, aber auch einen Informationsnachteil.
Den Nachteil kennt jeder, der sich am Markt für Gebrauchtwagen gefragt hat, ob die Information auf dem Tachometer stimmt, die Zündkerzen wirklich neu sind und die Karosserie auch unter dem Lack rostfrei ist. Bekannterweise überwinden die Automobilmarken ihr Informationsdefizit, indem sie Zugriff auf die ERP-Systeme der Zulieferer fordern.
Künstliche Intelligenz verspeist Transaktionskosten zum Frühstück
Unternehmensgröße wird üblicherweise an der Anzahl der Mitarbeiter gemessen. Wären Skalenvorteile der einzige Faktor, warum gibt es dann weltweit nur eine Handvoll Firmen mit über einer Million Mitarbeitern? Wenigstens in China müsste es doch Firmen mit mehr als 5 Millionen Angestellten geben.
Bei vollautomatischen Firmen wie Booking.com, Uber oder Google-Suche sind gar keine Mitarbeiter mehr an den geschäftlichen Transaktionen beteiligt. Bei Vollautomatisierung gehen die Transaktionskosten gegen null. Es handelt sich um Transaktions-Riesen und Mitarbeiter-Zwerge.
Hypothese 1: KI führt zur Überwindung industrieller Arbeit
Automatisierung lässt in der produzierenden Industrie schon seit Jahren die relative Mitarbeiterzahl im Verhältnis zur Wertschöpfung immer weiter sinken. Das ist nicht weiter überraschend, denn Kapitaleinsatz fördert Automatisierung. Diese senkt den Personaleinsatz pro Transaktion.
Dass trotz Automatisierung die Arbeitslosigkeit sinkt, liegt an der schnell steigenden Anzahl relativ kleiner Firmen und Selbständiger. Aufmerksamen Beobachtern ist nicht entgangen, dass die Anzahl der meist kleinen Unternehmen im persönlichen Umfeld steigt. Dieser Effekt entfaltet sich erst seit der Einführung von ERP-Systemen und anderen Formen der Digitalisierung.
Unsere Urgroßeltern mussten in den Fabriken der industriellen Revolution unmenschliche Arbeit leisten, weil es damals weder Roboter, Digitalisierung noch KI gab. Heute wissen wir: Langfristig war diese Arbeit gar nicht für Menschen gedacht.
Einerseits kommen in den Fabriken immer mehr KI-Maschinen und Roboter zum Einsatz. Neben dieser Bottom-Up Transformation werden Top-Down immer mehr Prozesse in smartere ERP-Systeme integriert, bis am Ende alles automatisiert ist. Wenn alle unmenschliche Schufterei digitalisiert ist, ist das, was übrig bleibt sinnstiftende menschliche Arbeit. Und diese Arbeit geht uns nie aus.
Hypothese 2: Diseconomies-of-Scale machen KMU‘s zu den Gewinnern der „KI-fizierung der Wirtschaft“
Die hocheffiziente Koordination von Scharen von Kleinbetrieben durch vernetzte ERP-Systeme hat das Potential, Großunternehmen den Markt streitig zu machen. Solche Strukturen kennen wir bereits aus der Bekleidungsindustrie, wo Unternehmen wie Nike im Wesentlichen Marketing und Design koordinieren und alles andere auslagern. Auch in der Chip-Produktion werden die Produkte von Intel, Nvidia oder ARM nur konzipiert und die Produktion weitgehend an TSMC in Taiwan ausgelagert. Gemessen an seiner Position eines unangefochtenen Marktführers bei der weltweiten high-end Chip-Produktion ist die taiwanesische Firma mit nur 60.000 Mitarbeitern relativ klein – Tendenz sinkend. In der Produktion selbst beschränken sich die Aufgaben der Mitarbeiter mittlerweile meist auf Fehlerbehebung und Reparatur.
Je größer ein Unternehmen, umso mehr menschliche Energie geht durch Firmenpolitik und andere diseconomies-of-scale verloren. Je kleiner ein Unternehmen, desto höher ist die Quote der Mitarbeiter, die mit Kunden arbeiten. Und in einer künstlichen Welt wird nichts wichtiger sein als menschliche Beziehung.
Hypothese 3: ERP wird zum “Bordcomputer” der selbstfahrenden Fabrik
Sprachmodelle wie GPT können nicht nur Texte in Bilder verwandeln, sondern auch umgekehrt. Damit ist z.B. Googles harmlos aussehender Roboter RT-2 in der Lage, Aufgaben zu erledigen, für die er nicht trainiert oder programmiert wurde. Das ist revolutionär.
Der verstärkte Einsatz solcher smarter Roboter in Zusammenarbeit mit IoT-Sensoren und KI verschafft ERP-Systemen ein immer besseres Verständnis ihrer eigenen Umgebung. Aus dem steigenden Weltwissen erwächst das Potential einer autonomen Fertigung.
Welcher Werksleiter würde sich nicht über einen freundlichen Bordcomputer freuen, wie ihn in einer fernen Zukunft Captain Picard auf seinem Raumschiff Enterprise zur Verfügung hat?
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