China: Quantum Computing und Digitale Moral

Weil man der westlichen Berichterstattung über China kaum Unvoreingenommenheit vorwerfen kann, wollte ich mich selbst von der Situation überzeugen. Besonders interessierten mich dabei Quantentechnik, Künstliche Intelligenz und Überwachung.

Die Automatisierung der Moral

Die Berichterstattung über China ist in der westlichen Welt selten positiv. Für jeden chinesischen Bürger gäbe es zum Beispiel ein Punktekonto, das so genannte Sozialkredit-System.

Schnellfahren auf Chinas Autobahn resultiert im Punktabzug am Sozial-Konto. In Deutschland gilt das Gegenteil: In Flensburg wird ein Punkt addiert.

Wer seine Bücher immer rechtzeitig in die Bibliothek zurückbringt oder im Altenheim aushilft sammelt Pluspunkte. Wer rechtzeitig Punkte anspart kann später rasen.

Bei unseren Gesetzen kommt es nur drauf an, nicht erwischt zu werden. Moral ist hingegen eine umfassendere Sammlung von Regeln zum Wohlverhalten wenn keiner zuschaut. Moral ist ein sozialer Algorithmus. China hat einen Weg gefunden Moral zu digitalisieren.

Die Chinesen vor Ort freut es. Wenn im eigenen Wohnviertel durch digitale Überwachung die Kriminalität zurückgeht, steigt der Wert ihrer Eigentumswohnung.


Der Irrtum, dass China den Westen an Innovation überholen wird kommt von der linearen Vorstellung, dass Wachstum aus dem Nichts einfach so weiter geht. Innovation ist immer die Abweichung von der Norm, von Gesetzen und Moral.

Innovation ist immer abnormal. Social Rating macht Abweichung zum Risiko. Überwachung ist der Innovationskiller. Haben wir von China noch etwas zu befürchten?

Meritokratie statt Demokratie

Während dem Mittagessen beim Besuch eines Forschungsinstitutes hatte ich die Gelegenheit mit dem interimistischen Institutsleiter zu sprechen. Sein Vorgänger war als Vizeminister ins Wirtschaftsministerium berufen worden. Natürlich wollte ich wissen ob er jetzt dauerhaft Institutsleiter werden wollte. Seine Antwort war nein. Er würde lieber Forscher bleiben, aber es würde sich wohl nicht vermeiden lassen. Die Funktion eines Ministers, regionalen Parteileiters oder eben Institutsvorstandes werde nicht durch eine demokratische Wahl bestimmt - sondern besser.

Nach dem Jahrhunderte alten Prinzip der chinesischen Meritokratie werden für Stellenbesetzungen die Untergebenen, Kollegen und Vorgesetzten befragt. Aus deren Bewertung wird der Beste für die Aufgabe bestimmt - ob er will oder nicht.

Bei der Konferenz am Vormittag hatte jeder dem ehemaligen Institutsleiter zum Aufstieg zum Vizeminister gratuliert. Obwohl auch dieser lieber in seiner Position verblieben wäre, wie uns unser Gesprächspartner andeutete. Weil aber die Ehre für das Institut, die Familie, die Person und die Partei so groß war, konnte er nicht ablehnen.

Demokratische Tradition wie in Europa entsteht ganz ursprünglich nur dort, wo Steuereintreiber die Erträge aufgrund unsicherer klimatischer Verhältnisse wie im Bergland Athens, Islands oder Tirols nicht genau abschätzen können.

Demokratie, also die Kooperation der Steuerzahler, war im Yangtze Delta aufgrund des stabilen Wetters nicht nötig. Kontinuierliche Besteuerung mithilfe der ersten Informationstechnik - der Schrift - zum Zweck der Buchhaltung lies von Anfang an autokratische Hochkulturen entstehen.

Die drei Arten der Freiheit

Später erfuhren wir, dass es in China drei Stufen von Freiheit gibt.

Starbucks Freiheit ist die Freiheit zu entscheiden, welchen Kaffee man trinkt. Mercedes Freiheit ist die Freiheit zu entscheiden, welches Auto man fährt. Die höchste Freiheit ist die Freiheit nein zu sagen.

Dazu muss man wissen, dass die meisten großen Limousinen der deutschen Hersteller auf den chinesischen Straßen unterwegs sind. Noch größer ist nur die Freiheit, nein sagen zu können. Und die hat fast niemand.

Als gebürtiger Chinese nach Studium in den USA hat man die Wahl: Entweder Freiheit in den USA oder enormes Gehalt in China. Treiber der Innovation in China sind Rückkehrer aus dem Westen als Führungskräfte in der Tech-Branche Chinas. Wenn sie nicht aufpassen, verschwinden sie einfach.

Chinas Überwachungstechnik

Am Tian'anmen-Platz konnte ich mich von der Überwachungstechnik überzeugen. Habt ihr die Kamera schon entdeckt?

China ist ein Überwachungsstaat. Mehr Kameras als in Peking gibt es nur in London.

Bei Rot über die Ampel zu gehen ist nicht nur bei uns strafbar, sondern auch in China. Leider ist es mir nicht gelungen in China einen Strafzettel dafür zu bekommen. Die Strafe wird einem nämlich umgehend nach dem Fehltritt über das Handy-Konto abgezogen. Leider hat sich diese aus meiner Sicht ungemein praktische Form der Bestrafung in Europa noch nicht durchgesetzt.

Überwachung muß nicht immer bequem sein.

Umweltschutz made in China

Natürlich ist der CO2 Ausstoß in China pro Einwohner verschwindend im Vergleich zu Europa oder USA. Die schiere Bevölkerungsmasse macht das Problem und zugleich die Lösung. Im Süden werden öffentliche Gebäude nicht beheizt. Für uns kein Problem, den Anorak hatten wir dabei. Und gemeinsam mit den vielen chinesischen Bürgern wurde es auch langsam warm im Raum. Die Heizleistung pro Person beträgt schließlich 80 bis 90 Watt.

Die Ampel wird grün: Unfassbar ist der Eindruck, wenn sich dieser Pulk an Mofas gleichzeitig in Bewegung setzt: Beinahe lautlos! Alles elektrisch.

China hat die Einkind-Politik durch Immobilienpreise ersetzt.

Angeblich kostet die Miete einer durchschnittlichen Wohnung in Peking $3.000 im Monat. Ein Kindergartenplatz in Schanghai soll mit etwa $30.000 im Jahr zu Buche schlagen. Man fragt sich, welchen akademischen Grad die Kinder da wohl erwerben oder was da sonst gemacht wird.

Obwohl sich China längst von der Einkind-Politik verabschiedet hat liegt die Geburtenrate pro Elternpaar bei 1,7 und nicht über den 2,1 die für eine Stabilisierung der Bevölkerungszahlen nötig wäre. China schrumpft, weil man sich Kinder schlicht weg nicht mehr leisten kann. Mittelfristig wird China seine Arbeitskräfte benötigen um die interne Infrastruktur aufrecht zu erhalten.

Künstliche Intelligenz verhilft zu medizinischem Vorsprung

Beim Besuch der Firma SenseTime haben wir einen tiefen Einblick in den Stand der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz in China erhalten. Bei KI zählt nicht nur der Algorithmus, sondern auch die Daten, um diese zu trainieren. SenseTime verfügt über die medizinischen Daten von 600 Millionen Menschen. Das entspricht ungefähr der Anzahl der Chinesen, die mit Digitalisierung in Berührung gekommen sind.

Der gesellschaftliche Nutzen und gesundheitliche Vorteil für jeden Einzelnen ist enorm. China bereitet mit diesem Datenschatz den Wechsel der industriellen Pauschalmedizin zur digitalen Individualmedizin vor. Dem stehen in Europa einige 1.000, vielleicht 10.000 Datensätze gegenüber, da nur wenige Menschen es als ihre Bürgerpflicht verstehen, ihre Daten der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.

Vortrag: Quantum Computing in Austria

Mein persönliches Highlight des Aufenthalts war die Möglichkeit einen Vortrag über den Stand des Quanten Computings in Österreich zu halten. Zur Vorbereitung hatte ich ein ausführliches Gespräch mit Thomas Monz von Alpine Quantum Technologies geführt. Einige chinesische Kollegen hatten in Innsbruck und Wien unter anderem bei Anton Zeilinger studiert und auch danach Kooperationsprojekte durchgeführt. Der Austausch mit diesen Kollegen war ausgesprochen spannend.

Digitalisierung vs. Freiheit

Auch wenn die radikale Digitalisierung in China viele unterschätzte Vorteile birgt, würde ich dafür jedoch niemals meine europäischen Freiheitsrechte aufgeben. Lieber nehme ich Unsicherheit bei uns in Kauf, gegenüber einer Automatisierung der Moral wie in China.

Haben Chinesen kein Recht auf ihren eigenen Weg, den sie in konsequenterweise den Uiguren und Tibetern auf menschenverachtende Weise vorenthalten?

Den prinzipiellen Unterschied in der Behandlung zwischen Katalanen und Tibetern durch ihren jeweiligen National-Staat konnte mir noch keiner erklären.

Die Idee des Nationalstaates haben sich die Väter der Aufklärung in China abgeschaut. Inklusive der Abwertung von Minderheiten und Fremden, die leider auch in Europa noch lange nicht Geschichte ist. Nationalstaaten sind eben so. Karl Popper hat längst vorausgesagt, dass „der Nationalstaat in einer Offenen Gesellschaft lediglich ein momentanes Übel ist, das langfristig überwunden werden kann“.

So eine liebe Überwachungskamera

Unsere westlich moralisierend-chauvinistischen Überlegenheitsgefühle gegenüber dem chinesischen Riesen sind aus meiner Sicht eher unangebracht. Oft mißbrauchen wir berechtigte Kritik um nicht über uns selbst nachdenken zu müssen. Glaubwürdig gegenüber China macht uns das nicht.

Nähere Infos zur Reise findet ihr in der Presseaussendung der Österreichischen Wirtschaftskammer.

#36 „China als Digitalisierungsprojekt“ mit Anastassia Lauterbach, Leadership Coach, The ExCo Group

Um den Sprung vom Entwicklungsland zum Hightechstaat zu schaffen, gibt China alles. Durch große Investitionen hat sich das Land selbst in ein riesiges Digitalisierungsprojekt verwandelt. Auch wenn es die Innovationskraft nicht mit dem europäischen Unternehmergeist aufnehmen kann, hat China die Nase vorn. Über die unterschiedlichen Digitalisierungs-Fortschritte von China, Taiwan, USA und Europa spreche ich mit Anastassia Lauterbach.

October 5, 2021

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