Improvisationstechnik und Emotionstheater
Was den professionellen Redner vom Amateur unterscheidet ist die Performance auf der Bühne. Nirgends kann man Improvisationstechnik und Emotionstheater besser lernen als bei den Clowns. Ebenso groß war meine Überraschung, dass sich die sterbende Kunst der Clownerie als Metapher für die Gesellschaft entpuppte.
Profiausbildung für Speaker
Um als Redner in die Profiliga einzusteigen, nimmt man zuerst einmal Schauspielunterricht. Allerdings spielen die Schauspieler miteinander, so als wäre das Publikum nicht da. In der Schauspielkunst nennt man den Zuschauerraum auch die vierte Wand, die man nicht beachtet. Der Clown ist anders. Er spielt immer mit dem Publikum. Selbst in Dialog mit den anderen Clownkollegen richtet er seine Stimme immer in den Zuschauerraum. Erst wenn er den Blick vom Publikum wieder auf seinen Partner richtet, weiß dieser: Jetzt ist er dran. Nahtlos wechselt die improvisierte Handlung zwischen den Akteuren.
Im Clowntheater wird durchaus gesprochen. Das Wesentliche ist aber die Emotion. Hier ist die Freude und der Spaß genauso wichtig wie Wut und Trauer. Die Abschlussarbeit meiner zwölftägigen Clownausbildung bei den Profis Manfred Unterluggauer und Helga Jud alias Herbert und Mimi war eine halbstündige Aufführung. Als Profiredner ist es für mich wichtig immer wieder neue Impulse zu bekommen und meine Komfortzone zu verlassen.
Der Clown als Metapher für die Transformation
Im Clowntheater gibt es den roten und den weißen Clown. Im Zirkus ist der Weißclown leicht zu erkennen - an seiner weißen Maske und dem kegelförmigen Hut. Er macht das Spiel, er stellt die Aufgaben, er definiert die Regeln. Und daran scheitert er am Ende selbst. Bei Stan Laurel und Oliver Hardy ist es Ollie, der immer genau weiß wie es geht. Er macht die Regeln. Stan ist der kleiner Bruder. Im Clowntheater nennt man ihn August. Er freut sich einfach dabei zu sein. Enthusiastisch macht er mit - ohne zu wissen was eigentlich abgeht. Er scheitert mit Begeisterung.
Im Clowntheater entsteht die Komik aus dem Scheitern. Für mich ist das eine wunderbare Metapher für die Digitalisierung. Auch sie lebt vom Scheitern. Das Scheitern ist der Normalfall, wenn man experimentiert. Wenn das Risiko zu scheitern bei einem Startup nicht überwältigend ist, dann ist es gar kein Startup. Oder wie Elon Musk sagt, „Wenn du nicht scheiterst, bist du nicht innovativ genug.“ Nach 10.000 gescheiterten Experimenten meinte Thomas Edison, er hätte nun 10.000 Wege gefunden, wie man eine elektrische Lampe nicht herstellt. Das war bestimmt nicht billig. Der Unterschied in der immateriellen Welt des Cyberspace: Das Preis-Leistungs-Verhältnis von Fehlern ist viel günstiger. Durch den Rückruf des Chevrolet Bolt EV verliert der Autobauer General Motors gerade Millionen. Bei einer Software werden solche Probleme oft automatisch mit einem sogenannten Patch behoben.
Der rote & der weiße Clown
Der weiße Clown steht für mich für die etablierte Gesellschaft. Er legt die Regeln fest und wundert sich, dass nicht alles so bleibt wie es ist. Der rote Clown, das sind wir Nerds, die Vertreter der Veränderung. Enthusiastisch stürzen wir uns auf das Neue. Wenn mal was schief geht, soll es so sein. Wir probieren Dinge aus. Wir wollen spielen. Wir sind uns der eigenen Macht nicht bewusst. Und ohne Machtbewusstsein gibt es auch keine Verantwortung. Das Publikum macht sich über unser Scheitern lustig - wenn sich Mark Zuckerberg im US-Kongress blamiert oder Elon Musk‘s Autopilot einen Fehler macht. Wir sind wie Stan - wir vertrauen Ollie. Der wird schon wissen, wie es geht. Er ist selbstbewusst und moralisch sattelfest. Daher schaut Stan auch regungslos zu, wenn Ollie die Türe öffnet. Also jene Tür, auf der der Wassereimer steht, welcher ihm gleich auf den Kopf fallen wird. Er schaut zu, denn Ollie muss es wissen. Das gehört so. Das läuft bestimmt nach Plan. Stan merkt gar nicht, das Ollie an seinen eigenen Regeln, seinen Erwartungen und seiner Moral scheitert.